Lesungen: Jes 52,13−53.; Hebr 4,14−16; 5,7−9.; Joh 18,1 – 19,42.
Predigt von Stadtpfarrer und Stiftspropst Dr. Klaus Metzl:
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!
Papst Benedikt XVI. hat einmal darauf hingewiesen, dass der heilige Ignatius von Antiochien um das Jahr 100 auf seinem Weg zum Martyrium in seinem Brief an die Kirche von Ephesus einen geheimnisvollen Satz eingefügt hat, in dem er sagte: Wenn wir das Wort Christi besitzen, dann werden wir auch sein Schweigen hören (IgnEph 15)
Damit will Ignatius von Antiochien darauf hinweisen, dass wir die Worte Jesu in seiner ganzen Tiefe nur dann in rechter Weise verstehen, wenn wir sie nicht nur als Rede betrachten, sondern wenn wir uns durch das Wort Jesu hindurch in den Grund seines Schweigens vortasten, die seinen Worten erst Beständigkeit und Kraft verleihen.
Denn Jesus hat mehr gegeben als nur Worte und Taten. Er hat sich selbst gegeben, die Liebe seines Herzens, sein ganzes Sein. Und nur so konnten wir Menschen erlöst und mit Gott versöhnt werden. Denn der Hass kann nicht überwunden werden durch einen anderen Hass, sondern nur, indem er in der Liebe ausgehalten, erlitten und so an sein Ende gebracht wird. Krieg und Gewalt können nicht überwunden werden durch noch stärkere Gewalt, sondern wiederum nur durch die Kraft der Liebe, die ihr standhält, und die so zu ihrem Ende führt und zu ihrer Verwandlung. Doch wir Menschen heute wollen – wie die Menschen zu allen Zeiten – nur noch die Kraft des Wortes, des Gedankens und der Taten, die produktiv und gewinnbringend sind, und selbst die Liebe wollen wir oft genug nur noch in den Augenblick des Genusses umwandeln und uns befreien von der Passion, der Veränderung, des Sich-Verlierens, in die uns die Liebe Gottes hineinführen möchte. Und weil das so ist, weil wir von Hingabe und Leid gar nicht mehr sprechen, weil wir all dies verdrängen und nach Möglichkeit abschaffen wollen, deshalb rückt uns das Geheimnis Jesu, das Geheimnis der unbegrenzten Liebe Gottes, immer weiter weg; werden wir immer unfähiger, die Liebe Gottes in Jesu Leiden am Kreuz zu verstehen; wird uns Christus, und der lebendig machende Glaube an IHN, immer oberflächlicher; entfernen wir uns immer weiter von der Mitte, die uns trägt, die unser Leben verwandelt, und die uns zu seinen Freunden macht. In der ganzen Liturgie des Karfreitags geht es letzten Endes also darum, in das Schweige Jesu hineinzufinden. So beginnt die Liturgie mit dem Augenblick des Schweigens zu Füßen des Kreuzes, wenn wir stille auf dem Boden liegen. Der Höhepunkt der Liturgie ist das schweigende Vortreten und Verehren des Gekreuzigten.
Und am Ende geht die Liturgie über in das große Schweigen des Karsamstags, in das Verstummen vor dem Tode Jesu, in das Stille-Werden an seinem Grab, das in die Stille der ewigen Anbetung hineinführt.
Und auch die Passionsgeschichte selbst, die wir eben gehört haben, ist eigentlich nichts anderes als der Versuch des Evangelisten Johannes, das Schweigen Jesu bei seiner Gefangennahme, bei seinen Verhören und auf seinem Kreuzweg, hörbar zu machen: Jenes Verstummen, in das seine Worte hineinklingen, und das all seinen Worten erst ihre Tiefe und Kraft verleihen. All die einzelnen Szenen der Passionsgeschichte sind im Grunde Türen in das Schweigen Jesu hinein.
Am Beispiel der Entblößung Jesu können wir dem Geheimnis des Schweigens Jesu besonders gut auf die Spur kommen und es verstehen lernen: Jesus – so heißt es – wird seiner Kleider beraubt. Das ist zunächst die Verstoßung in die äußerste Armut, in die endgültige Besitzlosigkeit, und darüber hinaus auch Entehrung und Entwürdigung: Er wird seiner sozialen Stellung beraubt. Er gehört nicht mehr zur Gesellschaft der Menschen, die etwas sind und etwas darstellen. Er ist ein Nichts geworden, das nicht mehr zählt und dessen Dinge man verteilen darf. So erinnert uns der so ausgestoßene und entehrte Jesu an den Augenblick, an dem wir selbst einmal nackt und bloß vor Gottes Angesicht stehen werden: Wir, die wir uns so gerne hinter unseren Rollen, hinter dem Schein unserer Werke und der herrschenden Meinung verbergen, und doch nur armselig und klein sind.
Aber nicht nur das. Wir erinnern uns auch an das Psalm-Wort: An Schlacht- und Speiseopfern hattest du kein Gefallen; Brand- und Sündopfer hast du nicht gefordert; doch einen Leib (Ohren) hast du mir gegeben. Da habe ich gesagt: Siehe, ich komme! In der Buchrolle steht es über mich geschrieben: deinen Willen zu tun, mein Gott, war meine Freude (Ps 40,7−9). Da ist erstmals ein Hohepriester angekündigt, der nicht nur, wie es in der ganzen Religionsgeschichte hindurch geschieht, Ersatz gibt. Denn alles, was wir Gott geben, ist doch nur Ersatz für uns selbst. Und was soll Gott eigentlich damit? Ob es nun Stiere und Rinder oder sonst irgendetwas ist. In der Ganz-Hingabe Jesu geschieht erstmals wahrhaft hohepriesterliches Handeln. Er bringt nicht Ersatz, sondern sich selbst, sein Leben in seiner alles umfassenden Liebe dar: nicht Kleider, die Äußerliches zur Schau tragen, sondern seinen Leib, sich selbst, ganz und gar! Und so lernen wir auch verstehen, was es heißt, Eucharistie zu feiern: Es geht um ein Hineintreten in diese Wirklichkeit der sich selbst hingebende Liebe, die uns erlöst und zu Kindern Gottes macht.
Und so bitten wir den Herrn, dass er uns schweigend sein Wort verstehen lässt, damit wir unsere vermeintliche Selbst-Herrlichkeit für die uns geschenkte Herrlichkeit Gottes aufgeben, die uns in der Taufe auf Jesu Christi Tod und Auferstehung bereits geschenkt wurde, und die endgültig offenbar werden wird, wenn wir ihn schauen dürfen von Angesicht zu Angesicht.
Amen