Stiftspfarrkirche St. Philippus und Jakobus
Die Stiftspfarrkirche St. Philippus und Jakobus zählt zu den geschichtsreichsten Gotteshäusern Bayerns. Ihre Ursprünge reichen zurück in die Zeit der Karolinger. Es ist wohl der vierte Kirchenbau an dieser Stelle. Bei den jüngsten archäologischen Grabungen innerhalb dieser Kirche wurde der Grundriss der karolingischen Pfalz- und Stiftsbasilika freigelegt, erbaut im Jahr 876 durch König Karlmann. Das Stift selbst war dem Ungarnsturm nach 907 zum Opfer gefallen. Die archäologischen Grabungen förderten auch Teile einer Basilika aus ottonischer Zeit zutage, die wohl um das Jahr 1000 errichtet wurde. Teile dieser ottonischen Basilika wurden in die romanische Basilika übernommen, die der Bayernherzog Ludwig “der Kelheimer”, verbunden mit der Wiedergründung des Stiftes, 1228/31 hatte errichten lassen. Diese romanische Basilika hatte Bestand, bis sie an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert aufgrund der 1489 aufgebrochenen Wallfahrt zu Unserer Lieben Frau von Altötting zu klein geworden war. Zwischen 1499 und 1511 entstand an dieser Stelle der heutige, spätgotische Bau, bezahlt aus den Mitteln der Hl. Kapelle und Spenden der Pilger. Sie war die letzte gotische Hallenkirche Süddeutschlands. Baumeister war Jörg Perger, einer der letzten bedeutenden Meister der “Burghauser Schule”. Der Bau misst (innen) in der Länge 48,5 m, in der Breite 18,5 m. Der Gewölbescheitel liegt ca. 12 Meter über dem Boden der Kirche. Das markante äußerliche Charakteristikum der Kirche ist das mit spitzen, kupfergedeckten Helmen gekrönte Türmepaar mit 57 m Höhe.
Als Stifts‑, Wallfahrts- und Pfarrkirche war St. Philippus und Jakobus mit seiner Inneneinrichtung und der künstlerischen Ausgestaltung dem Wandel des Zeitgeschmacks und Änderungen der Liturgie im Laufe eines halben Jahrtausends unterworfen. Von der ursprünglichen Einrichtung aus der Erbauungszeit sind nur noch die aus Eichenholz geschnitzten Portale (Nord- und Südportal) erhalten, deren in Plastik und Hochrelief ausgeführtes Bildprogramm das erste Aufscheinen der Renaissance-Skulptur in Altbayern markiert (Meister Matthäus Krinis aus Mühldorf). Hinzu kommen das überlebensgroße Kruzifix an der Nordwand, das der Landshuter Leinberger-Schule zugeschrieben wird, sowie einige Epitaphien an der Nord- und Südwand. Mehrere Renovierungen im Laufe der Jahrhunderte, zuletzt eine tiefgreifende an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, haben leider kostbare Kunstschätze aus der Zeit der Romanik, der Gotik, der Renaissance und des Barock unwiederbringlich zerstört, darunter die kostbaren gotischen Glasmalereien der Fenster, das Chorgestühl der Erstausstattung, geschaffen von demselben Meister, dem wir auch die Portale verdanken, und das romanische Hochgrab des Karolingerkönigs Karlmann (das jedoch nie belegt war).
Erhalten geblieben sind vor allem das romanische “Westwerk” mit dem romanischen Westportal, der Orgelprospekt, den wir teilweise dem Frühbarock, teilweise dem Rokoko verdanken, und neben dem Nordportal die als “Tod von Eding” in ganz Bayern bekannte, etwa sieben Meter hohe Kastenuhr, auf der der Sensenmann im Takt der Zeit mäht. Sie stammt aus der Pestzeit des 17. Jahrhunderts. Aus der Zeit um 1800 stammen der klassizistische Hochaltar (Gemälde “Maria, Helferin der Not Leidenden“ des Münchener kurf. Galeriedirektors Joh. Jak. Dorner d. Ä.- barocke Figuren des hl. Sebastian und des hl. Rupertus), das klassizistische Chorgestühl des Trostberger Bildhauers Joseph Benedikt Kapfer mit geschnitzten Reliefmedaillons von Szenen aus der Geschichte Altöttings, des Stiftes und der Wallfahrt, sowie die beiden vorderen Seitenaltarpaare. Beide Altar-Paare sind im Jahre 1793 entstanden. An ihnen wird der Umbruch vom Rokoko zum Klassizismus deutlich. Während das erste (links: St. Johann Nepomuk, rechts: St. Florian) in seinem Aufbau (Josef Doppler, Salzburg) und seinen Plastiken (Christian Jorhan, Joseph Benedikt Kapfer) noch ganz den Geist des Rokoko atmet, präsentiert sich das zweite (links: letztes Abendmahl, rechts: Hochzeit zu Kana) in Aufbauten (Michael Mattheo, Anton Aigenherr) und Plastiken (je zwei Evangelisten, Roman Anton Boos) in reinstem Klassizismus. Die Aufbauten des dritten Seitenaltar-Paares im Stil der Neo-Renaissance (Michael Kurz) stammen aus dem Jahr 1917, die Gemälde (links: hl. Dreifaltigkeit, Jacopo Zanusi; rechts: eine Gruppe männlicher und weiblicher Heiliger, Johann Zick) von nicht mehr bestehenden Rokoko-Altären.
Der Kreuzgang und seine Kapellen
Bereits aus der Zeit des romanischen Kirchenbaues stammen die Anlage und ein Teil der Kragsteine des südlich der Kirche gelegenen Kreuzganges. Um 1420 wurde der Kreuzgang gotisiert. Er weist im südlichen Flügel und an der nordöstlichen Ecke interessante Gemälde des 15. Jahrhunderts in den Gewölbesegmenten auf. Sehenswert sind die vier Kapellen am Kreuzgang. Die älteste, die sogenannte Tilly-Kapelle, steht im Südosten. Ursprüngliches Patrozinium ist St. Peter, was auf ein hohes Alter hinweist. Die heutige gotische Kapelle stammt aus dem frühen 15. Jahrhundert und hatte eine Vorgängerin. Möglicherweise handelt es sich hier um die einstige Pfarrkirche (im Gegensatz zur Stiftskirche). Interessante Glasgemälde im Südostfenster und beachtenswerte Wandgemälde zieren die Kirche. Im 17. Jahrhundert erhielt die Familie Tilly die Kapelle als Begräbnisstätte. In der Gruft ruhen in Metall-Sarkophagen die sterblichen Überreste des großen Feldherrn Johann Tserclaes von Tilly und weiterer Angehöriger der Familie. Eine plastische Darstellung Tillys kniend unter einem Kreuz zeigt der Altar von Hans Pernegger, Salzburg (1643). Nördlich über der Tillykapelle im Obergeschoss befindet sich die Sieben-Schmerzen-Kapelle mit mehreren sehenswerten spätgotischen Tafelgemälden. Im Nordflügel des Kreuzganges gegenüber dem Südportal der Kirche dann die barocke Sebastianikapelle, 1681 von Christoforo Domenico Zuccali an der Stelle einer abgebrochenen gotischen Vorgängerin erbaut. Der Altar wurde um 1690 mit einer plastischen Gruppe der “Pflege des hl. Sebastian” von dem Münchener Hofbildhauer Andreas Faistenberger errichtet. Unter der Kapelle findet man die 1932 erbaute Gruft der Stiftskanoniker, in der Nord-Ost-Ecke des Kreuzganges die neuzeitliche Rastkapelle, die ihren Namen der auf dem Altar stehenden Darstellung des “Christus in der Rast” verdankt. Die schlichte Kapelle wurde 1959 über der Stelle erbaut, an der am 28. April 1945 fünf Altöttinger Bürger von der SS ermordet wurden.